Fidel und Che
sektion zürich

Kampf des Löwen gegen einen gefesselten Affen

Von Ernesto Padrón1

Eine Flut von Nachrichten über die Situation in Kuba aufgrund der Ereignisse vom Sonntag, 11. Juli wird unermüdlich von einigen der grössten Fernsehsender und in den Mainstream-Medien, auch von alternativen Medien, in persönlichen Texten und Videos in sozialen Netzwerken gegen unser Land verbreitet. Es ist verständlich, dass sie uns eine solche Superabdeckung widmen, im Vergleich zu den Superprotesten und Repressionen in anderen Ländern, da so etwas in unserem Land seit vielen Jahren nicht mehr geschehen ist.

«He du: Spiel fair!»

Es ist auch erstaunlich, wie viele Menschen alles glauben, was veröffentlicht oder hochgeladen wird. Einige argumentieren, dass sie echtes Filmmaterial erhalten, da es unbearbeitet ist – das so genannte «direkte» Filmmaterial, was mich erstaunt, denn sie haben die bemerkenswerte Fähigkeit, die Schnitte und sogar die Subjektivität der verschiedenen Sender zu erkennen. Wenn die filmende Person den Winkel der Kamera nicht öffnet, um uns die wirkliche Anzahl der Demonstranten zu zeigen, hat sie die Anzahl der Demonstranten zu begrenzen oder den Kameraschwenk einzuschränken; oder wenn sie eine Szene oder einen bestimmten Zeitpunkt auswählt, der gefilmt werden soll, oder die Protagonisten eines Ereignisses, dann liegt bei diesem Sender eine «Selbstkorrektur» vor, die zwangsläufig nicht die Realität widerspiegelt, sondern sie bestenfalls bricht.

Noch mehr verblüffen mich diejenigen, die Videos schlucken, ohne sie zu kauen. Videos die eindeutig Montagen von nicht zusammenhängenden Szenen oder Klängen sind, oder aus anderen Quellen stammen, aus anderen Zeiten und sogar anderen Ländern extrapoliert sind. Und es ist beschämend, dass, wenn solche Unwahrheiten aufgedeckt werden – denn die Wahrheit ist hartnäckig – die Person oder das Medium, welches die Kritik veröffentlicht hat, nicht mit einer ebenso grossen Entschuldigung aufwartet.

In Kuba – ich weiss nicht, wie es in anderen Ländern ist – bedeutet dieses Vorgehen, betrogen zu werden. Wir wissen jedoch, dass Medienkampagnen, bei denen alles erlaubt ist, hartnäckig auf eine Gehirnwäsche abzielen. Sie fliessen allmählich in viele Köpfe ein, um einen Meinungsstand zu zementieren. Es gibt aber auch Menschen, die eine grosse Bereitschaft haben, den Nachrichten die sie erhalten, Glauben zu schenken. Ihre Vorurteile oder ihre Einstellung, die dem sozialistischen Projekt diametral entgegengesetzt ist, konditioniert sie zu sehen, dass das, was sie angestrebt haben, nun wirklich eintritt. Und wenn es nicht stattfindet, dann muss es erfunden werden, oder es wird dafür bezahlt, dass es künstlich erzeugt wird, unabhängig davon, ob es sich um brutale Handlungen handelt.

Es ist nicht so, dass ich ein sturer Anti-Gläubiger bin; ich plädiere nur dafür, dass die Wahrheit geprüft werden sollte, bevor man sie zur Wahrheit erklärt. Wer die Wahrheit lebendig in seinen Händen hält, macht mich nicht nur misstrauisch gegenüber seiner Haltung, Gott zu spielen, sondern auch gegenüber seinen Absichten. Es ist unver- antwortlich, ein Urteil zu fällen, ohne zunächst alle Fakten geklärt zu haben. Es sei denn, klar, sie hätten bereits im Voraus ein Urteil gefällt: schuldig.

Wollknäuel: «Glaube mir, ich habe die Wahrheit in meiner Hand.»

Dieses a priori-Urteil verdeckt immer den Kontext der Ereignisse. Somit kann es nicht fehlgehen. Für diese Richter ist sind die Blockade der US-Regierung gegen Kuba eine Farce, und wenn überhaupt, dann ist sie etwas Nebensächliches. Glauben diese Leute wirklich, dass ein belagertes Land, mit einer Kriegswirtschaft und im Falle einer Pandemie ohne genügend Mittel zum Schutz der Bevölkerung mit Recht kritisiert werden kann? Und dass von den Betroffenen Bedingungen eingefordert werden können selbst von jenen, durch die diese Krise, die wir gerade durchleben, ausgelöst wurde? Es ist eine riesige Dummheit, so etwas zu tun.

Und zu allem Überfluss ruft eine andere Gruppe von Faschisten zu einem Korridor und einer humanitären Invasion auf! Sogar zu einer Bombardierung! Und sie ermutigen zu Hass, Gewalt und brutalster Rache. Die «Repression des kommunistischen Regimes» war
ihre wichtigste Waffe, um als Antwort zu extremer Repression aufzurufen. Unsere Polizei ist nicht die beste der Welt, aber sie ist nicht zu Hass ausgebildet. Sagen Sie mir, in welchem Land greift man ein Polizeiauto an, wirft es um, und dessen Insassen wenden keine Gewalt an? Ich will damit nicht behaupten, dass es keine übermässige Repression seitens der Polizei gegeben habe. Das kann nur durch die laufenden Ermittlungen herausgefunden werden. Von niemand anderem. Gerechtigkeit kann niemals emotional, sondern nur rational sein.

Doch ich weiss, dass die Befürworter politischer Bösartigkeit gegen Kuba nicht an unsere Ermittlungen glauben und weiterhin versuchen werden, jene Videos zu wiederholen von Mördern, die keine Kubaner sind, oder von Menschen, die angeblich erschossen wurden und dann im Fernsehen interviewt werden. Leider ist es so, dass sie solche Lügen veröffentlichen, und wir dementieren sie – aber die Lüge ist immer noch frei und ungeimpft; denn der Kampf ist ein Kampf des Löwen gegen einen gefesselten Affen.

Mehr als einmal ist gesagt worden, dass unsere Presse an der Spitze der Ereignis-Nachrichten stehen sollte. Aber wir stellen sie weiterhin in den Hintergrund und rücken sie erst in den Vordergrund, wenn die Ereignisse bereits vorbei sind. Die Unmittelbarkeit und Unparteilichkeit bei der Berichterstattung sind von grundlegender Bedeutung. Ich erinnere mich an einen Journalisten von TeleSur, der mehrere Protagonisten der Guarimbas in Venezuela interviewt hat. Deren Aussagen waren so aufschlussreich betreffend ihre konterrevolutionären Absichten, dass es nicht nötig war, andere Arten von Kommentare zu machen, weil sich die Niedertracht und der bösartige Hass dieser Menschen entlarvt hatte.

Die Geschichte dieser Krisen wiederholt sich in unserem Land, und die traurige Mischung aus Kriminalität – Kanonenfutter für die Konterrevolution – und aus Bürgern, die auf die Strasse gehen, um zu protestieren, weil sie in schrecklichen Wohnverhältnissen leben und der Unfähigkeit der Behörden überdrüssig sind; sie haben genug von Inkompetenz, von Bürokratie, von den endlosen Fehlern, der Dummheit und der Gefühllosigkeit einiger Beamter, verwandelt dieses Szenario in eine extrem soziale und politische Krise. Viele dieser Menschen, insbesondere junge Menschen – eine Gruppe, auf die ich in diesem Beitrag noch einmal eingehen werde – schauen nie oder fast nie die TV-Diskussionssendung «Runder Tisch» oder die Fernseh-Nachrichten, sie lesen weder unsere Presse, noch unsere Webseiten und auch nicht, was wir in den sozialen Medien publizieren.

Aber unsere Presse arbeitet den Konterrevolutionären in die Hände, wenn sie das volle Ausmass dieser Komplexität nicht sieht und es vorzieht, die Protestierenden alle in denselben Sack zu stecken. Wenn sie in ihnen allen nur Söldner sieht, die von den Yankees bezahlt werden. Gäbe es im Einzelfall vielleicht nicht Anlass, nachzufragen? Gibt es keinen Willen, diese Lebensgeschichten zu erforschen? Was sind die Ursachen für diese Ereignisse? Was haben wir alles nicht getan? Was können wir tun? Durch die Blockade hatte sich die Lage dieser Menschen bereits exponentiell verschlimmert, und die Pandemie brachte den Krug zum Überlaufen.

Je grösser die Krise, desto nötiger Kommunikation mit den Menschen und desto mehr Massnahmen zu ihren Gunsten. Wir müssen in allen Einzelheiten informieren über unsere Arbeit, die Erfolge, die Schwierigkeiten, die Fehler, und die Projektion als Land. Aber das bedeutet Kommunikation und Diskussion. Es kann sich nicht um eine einseitige Verbreitung von Nachrichten handeln. Noch weniger, wenn es sich um pamphletarische Botschaften voller Adjektive und Slogans handelt. Dialog und Diskussion sind unverzichtbar. In vielen Ländern gibt es einen so genannten Informationssekretär oder Pressesekretär, der sich einmal pro Woche mit den von den wichtigsten Medien akkreditierten Journalisten trifft. Und es gibt einige Präsidenten, die sich diesem Austausch stellen. Ich sage nicht, dass die Methode genau so übernommen werden soll, aber doch das Konzept eines möglichst direkten, aufklärenden Dialogs zwischen Regierung und Medien.

Unser «Runder Tisch» im Fernsehen übt eine wichtige Funktion aus für Informationen seitens des Staates, seiner Beamten und Institutionen zuhanden der Menschen, der Bürgerinnen und Bürger. Doch diejenigen, die diesen Kommunikationsraum betreiben, sollten mehr wie Journalisten und weniger wie Moderatoren auftreten. Menschen sollen, sollten sich durch sie vertreten fühlen, und sie wahrnehmen als Förderer von Debatten, von Kritik und von detaillierten Informationen. Wenn sie dies nicht tun, werden sie nicht glaubwürdig sein; und – was noch schlimmer ist – sie werden für immer in dieser Rolle fixiert werden. In erster Linie durch die jungen Menschen.

Straussenpresse: «Was ist passiert? Haben wir nicht über die Geschichte berichtet?» «Offensichtlich nicht. Wird es hier unten auch Netze geben?»

Genauso wenig können wir weiterhin abhängig bleiben von Kommunikations-Gurus eines Fachgebiets oder einer Spezialität, die sich durch eine ständig wiederholte Verwendung ihrer Botschaft selbst gefallen – manchmal sogar ohne das Charisma oder die Gnade zu haben, von der Mehrheit des Volkes akzeptiert zu werden, insbesondere – ich wiederhole – von den jungen Menschen. Wir müssen kreativer sein und auch schneller, um Fake News zu entlarven und keine Zweifel offenzulassen und nicht immer zurückzubleiben. Es ist an der Zeit, alle Talente und Anstrengungen zusammenzuführen, um diesen Kampf des Denkens und der Aktion zu gewinnen, mit Intelligenz, kreolischem Humor und Argumenten, die überzeugen und nie hinfällig werden.

Es ist auch an der Zeit, alternative Kommunikationsmittel zu schaffen, wie z. B. die Verwendung von toDus (das kubanische WhatsApp-ähnliche Programm, das sicherer ist und weniger mobile Daten verbraucht). Es könnte kostenlose Schlagzeilen auf Mobiltelefone übertragen; Nachrichten aller Art: politische, soziale, kulturelle, sportliche. Wenn die Pandemie vorüber ist, bietet sie kostenlose Auflistung von Neuerscheinungen in Kinos und Videotheken, Ausstellungen in Museen, Aufführungen in Theatern … Der Nutzen wird die Kosten für diese Kanäle bei weitem ausgleichen. Informationen für die Bevölkerung und insbesondere für junge Menschen. Denken wir an viele weitere Möglichkeiten.

Was ist die Bilanz dieser Krise? Wie können wir sie zum Besseren nutzen? Ist sie vorbei oder bereiten die Feinde des kubanischen Sozialismus eine Eskalation vor? Wir können nicht in einer defensiven Haltung abwarten; wir müssen proaktiv sein, die Kommunikation effizient nutzen und alle notwendigen Änderungen vornehmen, um alle Veränderungen durchzuführen, die für alle und zum Wohle aller notwendig sind. Zum Wohle aller, um die Feinde des Guten und der menschlichen Solidarität zu besiegen. Wie Pepe Mujica sagt: «Hass ist genauso blind wie Liebe, aber Liebe ist schöpferisch und Hass zerstört uns.»
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1 Ernesto Padrón ist Gestalter von Animationsfilmen und früherer Direktor der Zeitschrift «Zunzún». Zuerst publiziert in Kuba auf der Plattform Segunda Cita, dem Blog von Silvio Rodriguez.